Hamitentheorie

Die Hamitentheorie ist eine in mehreren Teilbereichen der Afrikawissenschaften entstandene Theorie, die die Überlegenheit einer in Nordafrika verorteten „hamitischen Rasse“ über die sogenannte „negroide“ Bevölkerung Afrikas postulierte. Begründet wurde diese Theorie im 19. Jahrhundert von dem englischen Afrikaforscher John Hanning Speke. Karl Richard Lepsius und Carl Meinhof erweiterten die Theorie auf den heute nicht mehr verwendeten Begriff der Hamitischen Sprachen (Ägyptisch, Berberisch, Tschadisch, Kuschitisch, Omotisch).

Die erste Darstellung der historischen Ethnologie von der Welt getrennt in der biblischen Völkertafel: Semiten, Hamiten und Japhetiten, 1771, Gatterers Einleitung in die synchronistische Universalhistorie[1]

Der Begriff „hamitisch“ oder „Hamiten“ geht auf die biblische Gestalt Ham zurück und bezieht sich auf Völker, von denen man mit Bezug auf die biblische Völkertafel der Genesis glaubte, dass sie von Ham abstammen. Bis zur Aufklärung wurden damit alle schwarzafrikanischen Ethnien bezeichnet. Erst mit der Hamitentheorie wurde dies nur noch auf die nicht arabisch-semitischen Völker Nordafrikas begrenzt, deren angeblich höheren kulturellen Leistungen man damit auf einen „kaukasischen“ Ursprung zurückführte.[2]

Die Theorien von der Überlegenheit einer hamitischen Rasse werden heutzutage meistens als der Hamitische Mythos[3] bezeichnet, da sie in Deutschland nach der Zeit des Nationalsozialismus völlig in Misskredit geraten sind. In den englischsprachigen Ländern, auch in den USA, waren sie sogar bis zur Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner noch relativ weit verbreitet.

In einigen Ländern Afrikas, vor allem in Ruanda, Burundi und umliegenden Ländern, wurde die Hamitentheorie im 20. Jahrhundert als Bestätigung mündlich überlieferter Herrschaftsgeschichte verstanden. In den gewaltsamen Auseinandersetzungen seit 1959 spielte der Mythos eine legitimierende Rolle.

In Russland entstand in den 1920er Jahren ein ideologisches Gegenstück zur sprachwissenschaftlichen Hamitentheorie: die von Nikolai Marr entwickelte Japhetitentheorie, die die europäischen Völker als Nachkommen von Noachs Sohn Japheth deutete und die ebenso dazu diente, eine zivilisatorische Hierarchie der Völker Russlands zu erstellen.

  1. Gatterer: Einleitung in die synchronistische Universalhistorie, 1771; Martin Baasten: A note on the history of 'Semitic', 2003; Han Vermeulen: Taal-, land- en volkenkunde in de achttiende eeuw, 1994
  2. Peter Rohrbacher: Die Geschichte des Hamiten-Mythos. Beiträge zur Afrikanistik, Band 71, AFRO-PUB, Wien 2002, ISBN 3-85043-096-0. pdf-Version, S. 6–7.
  3. Die Bezeichnung “Détruire le mythe chamitique“ verwendete erstmals der afroamerikanische Anthropologe Saint-Clair Drake 1959 am Zweiten Kongress der „Écrivains et Artistes Noirs” in Paris. Siehe Peter Rohrbacher, Der Hamiten-Mythos. Wien, 2002:223.

© MMXXIII Rich X Search. We shall prevail. All rights reserved. Rich X Search